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Acht Zeilen, mehr war da nicht zu lesen, aber die Nachricht hatte trotzdem grosses Gewicht. «Die St.Galler Fussballer in München» lautete der kurze Text im «St.Galler Tagblatt» vom 10. Juni 1919, keine sieben Monate nachdem der Erste Weltkrieg offiziell für beendet erklärt worden war. Mit 4:3 hatte der FC Bayern München das Freundschaftsspiel am Pfingstwochenende vor der Rekordkulisse von 5'000 Zuschauern im Stadion an der Leopoldstrasse gewonnen; Statistik und Ergebnis aber interessierten kaum. Was für die Deutschen alles überstrahlte, war die Tatsache, dass die Schweizer Mannschaft diese Reise auf sich genommen hatte. Verbunden mit der Botschaft: Für gute Freunde geht man über die Grenze – und über alle Grenzen hinweg.
Die gut 200 Kilometer lange Reise vom Bodensee in Richtung Nordosten war keine einfache: Die politische Lage und unklare Strassenverhältnisse hatten die Espen erst zögern lassen. Die Einladung des FC Bayern aber wollte man nicht ausschlagen. In der Mannschaft hiess es: «Wir müssen nach München – und wenn wir zu Fuss hingehen.» Obwohl der internationale Sportbetrieb Deutschland zu diesem Zeitpunkt boykottierte, reiste der FCSG als erster ausländischer Fussballverein seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einem Spiel nach München. Wir waren echte Blockadebrecher.
München war für die Espen eine Herzensangelegenheit
München war für den FCSG eine Herzensangelegenheit, denn die Stadt hatte seit dem Jahr 1903 eine enge Verbindung zum FC Bayern. Drei Jahre nach seiner Gründung reiste der FC Bayern zur Pfingsttour nach St.Gallen, trat dort gegen den lokalen Klub «Blue Stars» an und verlor mit 2:3. «Die Bayern werden die ihnen dort angenehm verlaufenen Stunden so leicht nicht vergessen», war in den Klubnachrichten über einen der ersten Auslandstrips des heutigen Weltklubs zu lesen. Das Rückspiel endete ein Dreivierteljahr später sogar mit 10:0 für uns. Der Schweizer Fussball war dem deutschen Pendant damals noch voraus. Die beiden ersten Aufeinandertreffen mit dem FC Bayern im Jahr 1914 endeten 2:2 und 1:1.
Das historische Spiel 1919 begründete dann eine echte Fussballfreundschaft. In den 1920er Jahren fanden regelmässig Partien in München und St.Gallen statt. Als Hüter der guten Beziehung tat sich vor allem ein Mann namens Henry Tschudy hervor. Der Druckerei- und Verlagsbesitzer war Vizepräsident des Schweizer Fussball- und Athletikverbandes und ein gern gesehener Gast in München. Mal schickte er eine Geldspende, mal – wie etwa beim Länderspiel zwischen Deutschland und der Schweiz im Jahr 1926 in München – kam er persönlich vorbei und hielt im Rathaus wie beim Bankett Reden, die als «Meisterstücke der Rhetorik» tituliert wurden. Was man ausserdem in jedem Wort heraushören konnte: «seine Liebe zu München». Dass viele Vereine in der Westschweiz vor allem gegen französische Teams spielten, hielt ihn nicht ab. Genauso wenig wie die kritischen Stimmen, die fast zur Spaltung des Fussball- und Athletikverbandes geführt hätten.
Ein Münchner Sportlehrer und echte Sportsleute
Besonders gut in St.Gallen kannte sich der zweimalige Bayern-Trainer William Townley aus: Als «Sportlehrer der F.A. Bayern» durfte der Engländer im Jahr 1920 sogar im «Kicker» über seinen Traineraustausch mit St.Gallen berichten. In einer Art Sommertrainingslager war er kurz nach dem Krieg für die erste St.Galler Mannschaft verantwortlich. «Stets heimisch» habe er sich gefühlt, «ausser wenn die gastfreien Leute Schweizer Dialekt sprachen, da konnte ich kein einziges Wort verstehen». Sein Fazit: «Nie habe ich eine enthusiastischere, nie eine echtere Klasse von Sportsleuten gesehen als die Mitglieder des FC St.Gallen 1879.» Das Team – und auch er – profitierte enorm von dem kurzen Aufenthalt in der Schweiz.
St.Gallen blieb ein attraktives Reiseziel: Im Jahr 1922 gab es gar einen handfesten Streit zwischen zwei Jugendmannschaften des FC Bayern. Weil bei einem St.Galler Gastspiel in München sowohl die 1B-Jugend als auch die ersten Junioren hatten antreten dürfen, wollten auch beide das Rückspiel bestreiten. Es musste abgestimmt werden – und die unterlegene 1B-Jugend wünschte der «ersten Mannschaft» mit Blick auf das angekündigte Regenwetter: «Wenn doch nur alle in St.Gallen dersaufen tät’n!» Als die Bayern vor Ort waren, kam die Sonne raus. Aber richtig vergönnt war der Trip an den Bodensee den glücklichen Gewinnern nicht.
Drei Jahrzehnte später wiederholt sich die Geschichte
Die Auslandsspiele – vor allem zu Ostern und Pfingsten – waren eine schöne Tradition, aber auch wirtschaftlich interessante Veranstaltungen. Ab Beginn des Zweiten Weltkriegs ruhte die Freundschaft für knapp ein Jahrzehnt. Schon im Jahr 1948 kam es zu einer weiteren historischen Begegnung zwischen dem FC Bayern München und unserem FCSG. Am 10. Oktober reiste eine vereinigte Mannschaft von Spielern des FCSG und SC Brühl nach München, um vor 40'000 Zuschauern zu einer Partie gegen ein All-Star-Team aus Bayern- und TSV-1860-Spielern anzutreten.
Weil Länderspiele gegen Deutschland zu dieser Zeit verboten waren, half man sich mit sogenannten «Städtespielen». Präsident Kurt Landauer hatte ausserdem gute Beziehungen nach Genf. Der damalige Münchner Bürgermeister Thomas Wimmer thematisierte in einem Grusswort, was alle dachten: «Wie vor 29 Jahren, so auch heute, haben die Schweizer die Sperrschranken durchbrochen, um in friedlichem Wettkampf unseren Sportlern die versöhnende Hand zu reichen.» Durch ein Spalier der Schweizer Garde zogen die Mannschaften ins Stadion ein, die Friedensbotschaft wurde zelebriert. Als «Brückenschlag in die internationale Fussballwelt» wurde das Spiel, das München 5:1 gewann, im «Sport Magazin» bezeichnet. Die Einnahmen gingen an das Münchner Waisenhaus, das auch heute noch an der St.-Galler-Strasse liegt.
Es war ein Geben und Nehmen, noch viele Jahre lang. Aus München heisst es: «Man kann sagen, dass der FC St.Gallen 1879 den FC Bayern geprägt hat wie nicht viele andere Vereine auf der Welt. Die Schweizer haben ihren Gedanken von friedlichem Sport stets gelebt, sich von Kritikern nicht unterkriegen lassen und sind somit ein Beispiel für echte Sportfreundschaft. Und sie haben im FC Bayern einen Partner gefunden, für den man sich gerne Mühe macht.»
Bild Stadtarchiv der Politischen Gemeinde St.Gallen und Textauszug „51“ Clubmagazin des FC Bayern